Das Blockhaus, die Avantgarde und eine kreative Zerstörung

Das Blockhaus, die Avantgarde und eine kreative Zerstörung

Erstmals erschienen im Neumarkt-Kurier 1/2023

Als das Dresdner Blockhaus am verkehrsreichen Übergang von der Augustusbrücke zum Neustädter Markt vor drei Jahren bis auf die Außenmauern entkernt worden war, dürfte vielen Passanten das Grauen des zerstörten Dresdens und seiner Ruinenlandschaft in Erinnerung gekommen sein. Nur das, was im Februar 1945 vom Bauwerk erhalten geblieben war, stand jetzt noch: ein gähnend leeres Gemäuer ohne Dach.

Das entkernte Blockhaus im November 2020. (Foto: J. H. Pahl)

Die zudem darum wussten, dass eine neue Kultureinrichtung namens „Archiv der Avantgarden“ (AdA) in den Bau einziehen soll, denen mögen die Worte des italienischen Futuristen Filippo Tommaso Marinetti in seinem „Futuristischen Manifest“ von 1909 in den Sinn gekommen sein: „Wir wollen die Museen, die Bibliotheken und die Akademien jeder Art zerstören (…).“ Mit etwas übersteigerter Phantasie könnten diese Passanten dann den Bauprozess des AdA als eine „kreative Zerstörung“, als Teil eines avantgardistischen Gesamtkunstwerks begriffen haben. Was dabei vernichtet wurde, war ein Stück Ostmoderne. Schweres Geschütz rückte an und beseitigte im Nu den 1978–82 erschaffenen Innenausbau samt Dach. Als neugieriger Spaziergänger kam man kaum mit dem Fotografieren hinterher, so schnell war das Werk vollbracht. Ihm Vorschub leistete die hundertjährige Flut von 2013, die das Gebäude heimgesucht hatte – „leidenschaftliche Inbrunst der Urelemente“ (Marinetti). Darauf folgte destruktive Gleichgültigkeit. Was hier existierte, hatte offensichtlich keinen Wert mehr. Widerspruch hätte ohnehin kaum Erfolg versprochen, immerhin beschenkte der deutsch-italienische Kunstliebhaber Egidio Marzona die Elbmetropole mit einer gewaltigen Kunst- und Literatursammlung der internationalen Avantgarde, deren extravagantes neues Heim im Inneren des fast drei Jahrhunderte alten Gehäuses sich die Landeshauptstadt ganze 25 Millionen Euro kosten lässt.

Bautypologisch handelt es sich beim Blockhaus um ein militärisches Bauwerk. Am nördlichen Kopf der Augustusbrücke diente der Vorgängerbau dem Schutz des Brückenzugangs. Mit der Umgestaltung der steinernen Elbquerung durch Matthäus Daniel Pöppelmann wurde dieses „Blockhaus“ genannte Gebilde 1727 abgerissen. August der Starke hatte Größeres vor: Als Eingangstor der „Neuen Königsstadt“ sollten am Brückenkopf nun zwei symmetrisch aufeinander bezogene Repräsentationsbauten entstehen. Der Architekt Zacharias Longuelune sah vor, dass beide Gebäude einen offenen Umgang auf quadratischem Grundriss und einen inneren stufenpyramidalen Aufbau erhalten – anstatt eines Blockhauses also zwei Pyramidenhäuser. Geplant war zudem die Aufstellung eines Reiterstandbilds Augusts des Starken auf dem östlichen – niemals realisierten – Bau, während das spätere Blockhaus von einem Obelisk mit einem Porträtmedaillon des Herrschers, in einer Variante von einem Standbild der Minerva, der römischen Göttin des Handwerks, des Gewerbes, der Weisheit – und der militärischen Verteidigung – bekrönt werden sollte.

Das als „Pyramidengebäude“ geplante spätere Blockhaus nach Plänen von Zacharias Longuelune, Zeichnung von 1893.

Schon 1687 hatte die Konstruktion der Hauptstraße nach Plänen von Wolf Caspar von Klengel begonnen. Der gesamte Neustädter Markt erlebte damals eine emsige Bautätigkeit. In der Achse der neuen Prunkallee war das Pyramidenhaus mitsamt Obelisk nun als hervorragender Point de vue geplant. Im August 1732 erfolgte die Grundsteinlegung, rasch schritten die Arbeiten voran. Als August der Starke dann am 1. Februar 1733 starb, kam der Bau weitgehend zum Erliegen.

Längst waren Zweifel aufgekommen, wo überhaupt das Reiterstandbild seine Aufstellung finden sollte. Außerdem herrschten Zweifel an der technischen Machbarkeit des Bronzegusses eines 200 Tonnen schweren, auf seinen zwei Hinterbeinen stehenden Pferdes nebst Reiter. So gab man das Projekt 1732 an den Kanonenschmied Ludwig Wiedemann ab. Dieser fertigte das Kunstwerk statt aus Bronze aus getriebenem Kupferblech an. Mit dem Tod Augusts des Starken ließ man auch dieses Projekt kurzzeitig ruhen, schließlich bekamen Ross und Reiter 1735 ihre Feuervergoldung. Der Intendant im Oberbauamt Jean de Bodt wählte mit Zustimmung des neuen Herrschers Augusts III. den Neustädter Markt als Aufstellungsort aus. Ohne viel Aufhebens wurde der nunmehr Goldene Reiter am 26. November 1736 enthüllt.

Die Außenmauern des Blockhauses, lediglich von einem Wetterdach provisorisch geschützt, warteten auf die Fortsetzung der Bauarbeiten. Vermutlich Johann Georg Maximilian von Fürstenhoff änderte die Pläne dahingehend, dass seit 1749/50 dem als umlaufender Bogengang angedachten Erdgeschoss ein Mezzanin unter einem abschließenden Walmdach hinzugefügt wurde. Es entstand somit ein blockartig geschlossener Baukörper, dem man spätestens seit 1777 den Namen seines Vorgängers überließ – Blockhaus. Dieses gab sich in der neuen Gestalt gleichsam bürgernäher inmitten der neuen barocken Fassaden des Neustädter Marktes. Der Triumphalgestus trat zurück. Das Haus beherbergte seither die Neustädter Wache. Fast zweieinhalb Jahrhunderte hatte das Blockhaus in dieser Gestalt den Platz geprägt, bis 1892/93 das Dachgeschoss durch die Architekten Ernst Sommerschuh und Gustav Adolf Rumpel ausgebaut wurde und weiteren Fassadenschmuck erhielt.

Das Blockhaus mit den gründerzeitlichen Veränderungen, aufgenommen 1930. (Foto: Walter Möbius, SLUB / Deutsche Fotothek, CC BY-SA 4.0)

Ein weiteres halbes Jahrhundert später brannte das Blockhaus infolge der Luftangriffe im Februar 1945 bis auf die Außenmauern nieder und verblieb über 30 Jahre lang eine Ruine, Zeugnis des Feuersturms inmitten einer bald schon beräumten Brache.

Ruine des Blockhauses im Jahr 1949, noch vor der großflächigen Beräumung des Neustädter Markts. (Foto: SLUB / Deutsche Fotothek, Landesbildstelle Sachsen Dresden, CC BY-SA 4.0)

Dann in den 1950er Jahren begannen Vorarbeiten für einen künftigen Wiederaufbau. 1955 fertigte Oskar Pusch Aufmaßskizzen an, 1963 folgten unter Gerhard Glaser Voruntersuchungen für die Sicherungsmaßnahmen. Er empfahl eine Enttrümmerung im Inneren und die Entfernung der Umbauten von 1892. Eine Diskussion um die Art des Wiederaufbaus wurde daraufhin zwischen Fritz Löffler, Hans Nadler und Gerhard Glaser geführt. Ein 1965 fertiggestelltes denkmalpflegerisches Gutachten unter Heinrich Magirius und Günther Kavacs kam zum Ergebnis, dass eine Rekonstruktion des Zustands in der Außengestalt von 1755 umgesetzt werden sollte. Eine Reihe von Nutzungen stand bis 1972 zur Diskussion: Galerie, Armeemuseum, Kongresszentrum und „Haus der Handwerker“. Im gleichen Jahr stand schließlich fest, dass das Blockhaus als Wohngebietsgaststätte und „Haus der DSF“ wiederaufzubauen sei. In der DDR dienten die Einrichtungen der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft (DSF) der Vermittlung von Kenntnissen über die Kultur und Gesellschaft der Sowjetunion. So entstand seit 1975 unter Anteilnahme der Bevölkerung wieder das äußere Bild des Blockhauses zu Zeiten Augusts III. und im Inneren eine innenarchitektonisch dem damaligen Zeitgeschmack entsprechende politische Kultur- und Gastronomieeinrichtung. Übrigens befindet sich der gründerzeitliche Bauschmuck seit 1986 an der Ostfassade der Neustädter Markthalle.

Ins Erdgeschoss des Blockhauses baute man zur Elbseite hin über die gesamte Breite einen Veranstaltungssaal. Das Obergeschoss diente zur Unterbringung einer Gaststätte.

Blick in den Festsaal des Blockhauses im Jahr 1982. (Aus: „Haus der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft“, Dresden 1982)
„Gepflegte Gastlichkeit bietet das Restaurant des Hauses“. (Aus: „Haus der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft“, Dresden 1982)

Die Fachzeitschrift „Architektur der DDR“ (4/1978) führt aus, wie der Innenraum zu gestalten sei: „In zurückhaltender Form sollen die barocken Elemente bei der Innenarchitektur wiederkehren. Eine bildkünstlerische Aussage zu einem Thema der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft für den Festsaal wird von Helmut Gebhardt gestaltet.“ Projektiert wurde der Wiederaufbau vom VEB Baukombinat Dresden unter den Architekten Manfred Arlt, Hans Klötzel und der Innenarchitektin Christa Bauer. Statik und Konstruktion oblagen Dietmar Liebsch. Zunächst wurden die Figurengruppen geborgen und restauriert (1976–78), um dann die Fassade zu erneuern und das Dach in der Gestalt von 1755 zu bauen (bis 1979). Zur Elbe hin erfuhr die Wand einen Durchbruch, um von außen einen Zugang in den Keller zu ermöglichen. Nach der Entkernung des Innenbereichs ab 1975 wurden Räume in großzügigen Dimensionen geschaffen. Die funktional gestalteten Treppen links und rechts der Vorhalle erhielten aus denkmalpflegerischen Gründen Abstand zur Außenmauer. Anstatt des offenen Innenhofs wurde eine Dachterasse angelegt.

Grundriss Erdgeschoss. (Aus: Architektur der DDR 4/78)
Grundriss Obergeschoss. (Aus: Architektur der DDR 4/78)

Die Eröffnung erfolgte am „Tag der Befreiung“ am 8. Mai 1982. Von nun an fanden regelmäßig Konzerte, Lesungen und politische Veranstaltungen statt. Eine zur Eröffnung herausgegebene Broschüre gab bekannt: „In vielfältigen Begegnungen wollen wir Sie auf interessante Weise mit dem Leben und den Gemeinsamkeiten unseres Volkes und der Völker der Sowjetunion näher vertraut machen. Anspruchsvolle Programme mit namhaften Künstlern, insbesondere der DDR und der UdSSR, Gespräche mit Arbeiterpersönlichkeiten und Wissenschaftlern, Erfahrungsaustausche, Foren und Ausstellungen tragen dazu bei. Zusammenkünfte mit sowjetischen Bürgern werden die Annäherung unserer Völker fördern. Die gastronomische Betreuung in unserem Haus vervollkommnet die Gastlichkeit.“ Auch versäumte das Heftchen nicht, darauf hinzuweisen, dass das Bauwerk zum 30. Tag der Staatsgründung der DDR am 7. Oktober 1979 schon rohbaufertig war, „als die Dresdner von ihrer neuen Straße der Befreiung Besitz ergriffen“, also der überwiegend mit Plattenbauten wiedererrichtetem früheren und heutigen Hauptstraße. „In den Räumen der Gaststätte, vielleicht bei einer Spezialität der russischen Küche, können Sie sich in Ruhe informieren. Allen Dresdnern, Gästen und Touristen, denen Frieden und Freundschaft am Herzen liegen, steht unser Haus offen“, ließ die Broschüre zudem wissen, um abschließend die Räumlichkeiten in Zahlen zu schildern: ein 228 Plätze umfassender Festsaal, drei Clubräume mit 60, 50 und 22 Plätzen sowie ein Restaurant für 160 Personen und dazu gehörend ein Gesellschaftraum für 56 Personen.

Mit Beginn der Reformbewegungen „Glasnost“ und „Perestroika“, die Michail Gorbatschow 1985 initiiert hatte und die von der SED-Führung nicht übernommen wurden, bahnte sich eine Krise an. Die Entzweiung kulminierte im Verbot der sowjetischen Zeitschrift „Sputnik“ im Oktober 1988. Die Mitgliedschaft in der DSF galt Vielen nun als Form des Protests gegen den Kurs der eigenen Regierung. Die SED verlor zugleich den Rückhalt des einstigen großen Bruders, und das Volk begehrte auf. Die Lage eskalierte im Oktober 1989, als die Grenze in die ČSSR geschlossen und damit die Flucht von dort nach Österreich verwehrt werden sollte. Am Hauptbahnhof versuchten am 4. Oktober tausende Menschen, auf die durchfahrenden Sonderzüge aufzuspringen, die Flüchtlinge vom Gelände der Prager Botschaft der BRD ins bayerische Hof evakuieren sollten. Die Massen skandierten „Wir wollen raus“, „Wir wollen Gorbatschow“ und sangen die Internationale. Wasserwerfer kamen zum Einsatz, Polizisten knüppelten auf Demostranten ein, vereinzelt flogen Molotow-Cocktails. „Besingen werden wir die vielfarbige, vielstimmige Flut der Revolutionen (…)“ (Marinetti).

Mit der Herstellung der Einheit Deutschlands am 3. Oktober 1990 war die DDR dann Geschichte, ihre Repräsentationsorte standen zur Disposition. Drei Jahre später verkaufte der Bund das Blockhaus mit einer Zweckbindungsklausel an den Freistaat Sachsen, die im Kern die Aussage enthielt: „Der Käufer verpflichtet sich, das Grundstück für einen Zeitraum von 15 Jahren (…) weiter für Zwecke der unmittelbaren Verwaltung zu nutzen (…).“ Vor allem diente es Veranstaltungen der Landesregierung, als Sitz der Sächsischen Akademie der Künste, als Außenstelle der Sächsischen Akademie der Wissenschaften und der Sächsischen Landesstiftung Natur und Umwelt. Da nach dem Jahrhunderthochwasser von 2002 offenbar keine hinreichende Lehre gezogen und für einen angemessenen Schutz des Hauses gesorgt worden war, kam es 2013 zu einer erneuten schweren Schädigung durch den Elbstrom. Es folgte die Schließung ohne Sanierungsmaßnahmen. Da die Zweckbindungsklausel inzwischen abgelaufen war, mussten die beherbergten Institutionen ausziehen.

Dann ging plötzlich alles ganz schnell: Im Juni 2016 gaben die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden bekannt, dass Egidio Marzona seine seit Ende der 1960er Jahre angelegte Sammlung der Stadt Dresden überreichen wolle. Die Schenkung dieser rund 1,5 Millionen Objekte sei „ein Signal an das Bürgertum der Landeshauptstadt (…), sich für seine Stadt zu engagieren“, so Marzona. Indes gab es keinerlei öffentliche Debatte über den künftigen Standort dieser Sammlung und schon gar nicht über das Schicksal der Blockhaus-Innereien, die Meinung der Bürgerschaft war nicht gefragt. Sicher geriet die Stadt durch das großzügige Geschenk unter Zugzwang, da blieb für bürgerschaftliches Engagement eben keine Zeit. Womöglich hätte die Bürgerschaft dieses Werk der Ostmoderne gar erhalten wollen.

Noch in diesem Jahr sollen die Massen an Skizzen, Collagen, Skulpturen, Gemälden und Plakaten, Fotografien, Filmen, Briefwechseln, Manifesten, Katalogen, Künstlerbüchern und Zeitschriften im neuen Domizil zugänglich gemacht werden. Der Außenbau steht längst wieder in alter Schönheit, im neuangelegten elbseitigen Blumenbeet zeigt sich bald das erste Grün.

Elbseite des Blockhauses im März 2023. (Foto: J. H. Pahl)

Das Berliner Büro Nieto Sobejano Arquitectos hat 2017 den nichtoffenen Realisierungswettbewerb gewonnen. Laut „wettbewerbe aktuell“ (3/2018) urteilte das Preisgericht: „Ein massiver Baukörper – schwebend im leergeräumten bestehenden Blockhaus – bildet das Kernstück des Archivs (…). Eine radikale architektonische Setzung, die einen erhabenen, lichtdurchfluteten und symbolträchtigen Raum erzeugt.“ Kontrovers diskutiert worden sei in der Jury die Monumentalität, die Anmutung erscheine „zu sakral“. Auch erkaufe das Projekt „seine Radikalität durch eine denkbare, aber aufwändige Tragkonstruktion, die hinsichtlich der notwenigen Eingriffe in den Bestand verifiziert werden muss“. Das Gegenüber von denkmalgeschützten Mauern und kontrastierendem Innenraum wird der Kulturstätte ganz gewiss eine eindrucksvolle architektonische Spannung verleihen. Es braucht dann jedoch etwas Phantasie, um noch den Akt der kreativen Zerstörung wahrzunehmen, mit dem ein bauliches Zeugnis der späten DDR entfernt wurde wie eine Altlast.